Finger weg, jetzt fahre ich!: Unterwegs im Autonomen Freightliner Cascadia - WELT (2024)

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SPX/Albuquerque/New Mexico/USA. Das hätte sich Paul nie träumen lassen, als er vor vielen Jahrzehnten zum ersten Mal in einem Truck gestiegen ist. Nachdem er viele Millionen Meilen kreuz und quer durch die USA gefahren ist, sitzt er jetzt am Steuer eines Freightliner Cascadia und legt einfach die Hände in dem Schoß. Schließlich ist sein Dienstwagen nicht irgendein Truck, von denen täglich hunderttausende über die Highways rollen. Paul thront in einer Art Robo-Truck – einem der ersten Prototypen, mit denen Daimler und die neue Unternehmenstochter Torc das autonome Fahren nach Level 4 in Serie bringen und dafür Männer wie Paul aus dem Führerhaus verbannen wollen.

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Galt der amerikanische Trucker spätestens seit Kris Kristoffersons Rolle als Rubber Duck im Kultfilm Convoy als moderner Nachfahre des Cowboys, macht er im Ledersessel dieses Luxuslasters jetzt einen auf Captain Future. Als wären die mit allerlei Kameras, Radaren und sonstigen Sensoren gespickte Zugmaschine draußen und das komplett digitale co*ckpit mit einer Handvoll Zusatzbildschirme nicht schon spacig genug, fährt sein Truck auf ausgewählten Strecken auch noch von selbst.

„Virtual Driver“ nennt Daimler das System, das die Umgebung besser sieht als jeder Fahrer und mit einem Kühlschrank hohen Turm von Computern zweifelsfrei den richtigen Weg zum Ziel ermittelt, sicher die Spur hält und ganz lässig im fließenden Verkehr mitschwimmt. „Und zwar besser, als ich das je könnte“, muss Paul einräumen. Denn der Virtual Driver wird weder müde, noch reagiert er ungeduldig oder unüberlegt, und vor allem lässt er sich nicht von anderen Autofahrern provozieren, selbst wenn die wie hier am Torc-Stammsitz Albuquerque erklärtermaßen die schlechtesten im ganzen Land sind.

Während die Elektronik den Kurs hält, den vom Wind sanft wogenden 26-Meter-Zug mit leichten Lenkkorrekturen stabilisiert, sauber um jede Kurve zieht, an den Autobahnkreuzen oder zum Überholen selbständig die Spuren wechselt, schaltet die Beleuchtung in der riesigen Kabine zum Zeichen des autonomen Betriebs von weiß auf blau und für Paul beginnt der Kampf gegen die Langeweile.

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Weil sein Laster noch ein Prototyp ist, muss er zwar noch eingreifen können. Und weil sie die Tests auf öffentlichen Straßen machen, sitzt nebendran ein zweiter Aufpasser und hinten auf dem Schwiegermutter-Sessel sogar noch ein Ingenieur. Doch auf den 420 Meilen noch einmal besonders detailliert digitalisierten Meilen bis rauf nach Amarillo in Texas, die Torc fürs erste als Versuchsstrecke ausgewählt hat, haben die drei nur wenig zu tun. Wenn es nicht gerade schneit, schüttet, neblig und dunkel oder im schlimmsten Falle alles zusammen ist, macht der Virtual Driver seine Sache schon so gut, dass man kaum mehr am Serienstart zu Beginn der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts zweifeln mag.

Und das ist nur der Anfang. Denn der Virtual Driver zielt auf das so genannte Level 4 des autonomen Fahrens und geht damit weiter als alles, was bislang im Pkw zugelassen oder auf dem Weg zur Serienreife ist. Während die ehemaligen Kollegen aus der Pkw-Fraktion schon stolz wie Bolle sind, dass der Fahrer in der S-Klasse und dem EQS – aktuell allerdings nur auf der Autobahn und bis maximal Tempo 60 – die Hände in den Schoß legen oder ganz legal zum Handy greifen darf, nach einer Vorwarnzeit von wenigen Sekunden jedoch wieder einsatzbereit sein muss, wollen die Ingenieure bei Daimler-Truck den Fahrer ganz aus dem Führerhaus verbannen und den Cascadia völlig unbemannt losschicken – so wie es Mercedes mit der S-Klasse jetzt zumindest beim Roboparken in der Tiefgarage machen darf.

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Auch diese Vision nimmt allerdings ein paar Einschränkungen in Kauf. Denn statt kreuz und quer durchs Land zu fahren, bis in die Städte oder zumindest in die Industriegebiete vorzudringen, skizziert Torc-Chef Peter Schmidt einen einfacheren, dafür aber halbwegs überschaubaren und deshalb realistischeren Ansatz: „Wir planen mit so genannten Hubs ganz nahe an den Fernstraßen und wollen die Level4-Laster von dort aus über die Interstates schicken. Für die erste und die letzte Meile übernimmt dann wieder der Mensch. Auch wenn diese Strecke in den USA gerne mal etwas länger sein darf.“ Und selbst dafür muss Torc noch eine Menge Streckenkunde sammeln. Denn mit den 420 Meilen zwischen Albuquerque und Amarillo haben sie gerade mal ein Prozent des Interstate-Netzwerkes abgedeckt und nach Los Angeles oder New York ist es noch ein weiter Weg.

Trotzdem ist Schmidt sicher, dass er schon in zwei, drei Jahren die ersten Pilotkunden mit solchen Cascadias beliefern und rund um die I-40 als wichtigsten Transportkorridor im Südwesten der USA eine Handvoll Hubs installieren kann. Und wenn alles nach Plan läuft, könnten zum Ende der Dekade bereits zehntausende Robo-Trucks auf einem wachsenden Anteil der Interstates unterwegs sein.

Mit dem Autopiloten alleine ist es für den Truck der Zukunft allerdings nicht getan. Weil in der Daimler-Vision des automatisierten Hub-to-Hub-Verkehrs gar kein Fahrer mehr an Bord ist, der etwa bei einer Panne eingreifen kann, legt Mercedes Systeme wie die Lenkung oder die Bremsen wie beim Flugzeug redundant aus und spickt den Truck zudem mit Sensoren, die Reifenpannen oder Motorschäden möglichst frühzeitig erkennen können. Außerdem hofft Schmidt, dass bis zur Serienreife des Virtual Drivers auch der e-Cascadia auf eine vernünftige elektrische Reichweite kommt, weil dessen Batterien und E-Motoren noch weniger anfällig sind als der 15 Liter große Sechszylinder-Diesel. Und weil der noch geschmeidiger fährt und sich mit seinem mächtigen Drehmoment beim Beschleunigen zum Auffahren oder dem Wechseln der Spur leichter tut. Außerdem gehört zum Fahrzeug auch eine Art intelligenter Kommando-Zentrale: Diese Mission Control soll die Fahrzeug- und Warenströme managen und all jene Aufgaben übernehmen, die früher der Fahrer im ständigen Dialog mit seiner Leitstelle übernommen hat, erläutert Schmidt.

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Zwar klappt die Fahrt Richtung Amarillo auch diesmal reibungslos und Paul muss seine Fuhre tatsächlich nur am Wendepunkt kurz selbst in die Hand nehmen, weil das Stück alte Route 66 natürlich nicht auf der Landkarte fürs autonome Fahren hinterlegt ist. „Selten so einen langweiligen Job gehabt“, lacht der PS-Profi und ist darüber ebenso froh wie frustriert. Froh, weil es zeigt, welch riesige Fortschritte Torc in den letzten 15 Jahren seit dem Beginn der Entwicklung gemacht hat und wie greifbar die Serieneinführung mittlerweile ist. Und frustriert, weil es dann um so schwerer fällt, trotzdem aufmerksam und einsatzbereit zu bleiben.

Doch weil es noch immer Überraschungen gibt, die den Virtual Driver aus der Bahn werfen, weil er noch nicht mit allen Situationen umgehen kann und nicht mit allen Licht- und Sichtbedingungen, wird Paul wohl noch ein paar Jahre Langeweile im Laster über sich ergehen lassen müssen, bis Daimler und Torc den Virtual Driver endgültig alleine auf die Strecke schicken können. Aber danach kann er sich ja austoben – denn zumindest in einem Torc-Laster haben die Trucker dann ausgedient.

Für Paul mag es dann außerdem so langsam Zeit sein für die Rente. Doch für seine jüngeren Kollegen gibt es noch genug zu tun, beruhigt Torc-Chef Schmidt notorische Schwarzseher. Denn selbst die optimistischsten Prognosen sehen den autonomen Anteil am amerikanischen Straßengüterverkehr – und da sind auch Daimlers Konkurrenten mit eingerechnet – bei allerhöchstens sechs Prozent. „Was da an Fahrern eingespart wird, wird bei weitem nicht reichen, um den fehlenden Nachwuchs zu ersetzen oder dem erwarteten Anstieg des Transportvolumens Herr zu werden“, ist Schmidt überzeugt. „Der Virtual Driver ist deshalb kein Job-Killer, sondern hilft viel eher dabei, die Lieferketten im Land zusammen zu halten.“

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